28. Entwickeln sich Geist und Körper zusammen?

 

Der Geist ist das Ich, der Wesenskern, der Funke, der euch am

Dasein erhält und euch Gedanken und Ideen eingibt. Seinen Anfang

nahm er als ein Gedanke der Gottheit, der in ein Universum

unendlicher Erfahrung eintrat als reiner, noch unerprobter

Gedanke. Er war wie ein Embryo, besaß keine Tiefe, hatte keine

Weisheit und keinen Überblick und verstand noch nichts. Doch wie

ein Samenkorn barg er ein unendliches Potential.

In jedem Augenblick eures Lebens lernt ihr dazu. Jede Handlung,

jeder Entschluß formt euch. Das Leben besteht aus einer ständigen

Folge von Aufgaben, denen ihr euch stellen müßt. Unablässig müßt

ihr Entscheidungen fällen, die sich auf eure gesamte weitere

Zukunft auswirken. Manche fallen leicht, da sie zur Routine des

Alltags gehören, andere sind schwieriger, denn sie betreffen auch

andere Menschen in eurer Umgebung, eure Angehörigen, eure

Arbeitskollegen. Entscheidend ist, daß man sich jeder Situation

stellt und sich mit ihr auseinandersetzt, sobald sie eintritt.

Man darf nicht erwarten, immer richtig zu entscheiden, doch es

ist häufig besser, überhaupt eine Entscheidung zu fällen, als

untätig zu bleiben. Was man auch tut, immer gilt: die Wahl, die

man heute trifft, und die Gewohnheiten, die man sich jetzt

aneignet, prägen nicht nur die verbleibende Zeit der gegen-

wärtigen Inkarnation, sondern auch künftige Verkörperungen. Und

damit kommen wir zu einem der interessantesten Paradoxe materiel-

ler Inkarnationen. Der Geist hat zwar einen freien Willen und

birgt in sich die gesamten Erfahrungen aller Leben, die er

durchlaufen hat, sowie alles, was er im vormenschlichen Stadium

gelernt hat, doch wenn er in einem Körper wohnt, unterliegt er

dessen Beschränkungen, die durch die Erbanlagen, das Milieu und

die Handlungen anderer Menschen in seiner Umgebung bedingt sind.

Bei seinem Eintritt in einen Körper muß der Geist also als erstes

lernen, mit der Fleischeshülle zurechtzukommen. Das fällt nicht

immer leicht und hängt davon ab, in welcher Beziehung sich das

Ich zu seiner Hülle sieht.

Viele Menschen fragen sich, weshalb sie sich nicht an frühere

Leben erinnern; sie meinen, das könne ihnen in ihrer derzeitigen

Inkarnation eine Hilfe sein. Für die überwiegende Mehrheit der

Menschen ist es aber - auch wenn sich das jetzt merkwürdig

anhören sollte - das Beste, nicht mit Erinnerungen an frühere

Erfolge, Mißerfolge und Schicksalsschläge belastet zu sein. So

sind sie frei und können sich darauf konzentrieren, aus dem

gegenwärtigen Leben das zu machen, was in ihren Kräften steht.

Jeder verfügt über die Weisheit aus seiner gesamten früheren

Existenz, und die Aufgaben, denen man sich in diesem Leben

gegenübersieht, zeigen bereits, welche Lernziele man sich vor der

Empfängnis selbst gesetzt hat. (Natürlich gibt es Ausnahmen, in

denen es von therapeutischem Wert sein kann, wenn man etwas über

ein vergangenes Leben weiß.)

Die Weisheit hängt nicht vom Intellekt ab. Ein Mensch kann eine

verhältnismäßig eingeschränkte Auffassungsgabe haben und doch

einen Geist von großer Weisheit und Schönheit beherbergen. Zu

meinen, daß Intellekt und wissenschaftliches Können eine

fortgeschrittene Entwicklung und große Weisheit bedeuten, ist ein

verhängnisvoller Irrtum. Wahre Weisheit ist Einfachheit, und nur

Menschen mit ganz besonderen Anlagen können einen komplizierten

Sachverhalt einfach darstellen. Sich nicht im Detail oder im

Alltagsgeschäft zu verzetteln, das zeichnet Weisheit aus.

Der Entwicklungsstand eines Geistwesens spiegelt sich in einem

gewissen Grad in der äußeren Gestalt. Ein weit entwickelter Geist

verkörpert sich nicht im Leib eines Neanderthalers, in dem er

sich nicht ausdrücken könnte. Das heißt nun nicht, daß Menschen

mit ansprechendem Äußeren unbedingt weiter sein müssen in der

Entwicklung. Der innere Wert zeigt sich nicht im guten Aussehen,

sondern im Charakter und in der Weisheit. Trotzdem kann man von

einer Parallelität der geistigen und körperlichen Entwicklung

sprechen. Und schwere genetische Schäden können die Folge sein,

wenn zwischen beiden ein starkes Mißverhältnis besteht. Ein

gereifter Geist wird damit eher fertig als ein unausgeglichener;

dieser leidet auch am ehesten unter negativen und zerstörerischen

Einflüssen in seiner Umgebung.

Zusammenfassend läßt sich sagen, daß Körper und Geist voneinander

getrennte Entwicklungsformen darstellen. Sind sie aber im

materiellen Leben miteinander verbunden, so entwickeln sie sich

als Einheit und beeinflussen einander gegenseitig. Man kann

lernen, aus seiner Inkarnation das Beste zu machen, indem man

allmählich dazu kommt, jede Seite seines Wesens so zu akzeptie-

ren, wie sie ist, ohne Übertreibungen und ohne Abstriche. Es

kommt darauf an, die innere Harmonie oder Melodie zu finden. Dann

blühen alle positiven und erfreulichen Seiten des Charakters auf.