"Und die nächsten sieben Jahre?"
Zuerst sei das bisher Gesagte zusammengefaßt:
Wenn ein Geist im Augenblick der Empfängnis in den von ihm
gewählten Körper eintritt, beginnt für ihn ein neues Abenteuer.
Er trägt alle seine bis dahin gemachten Erfahrungen in sich;
diese bündeln sich jetzt in dem winzig kleinen Stückchen Materie.
Und beim Eintritt des Geistes in die befruchtete Eizelle beginnt
der Inkarnationsprozeß. Die Eizelle entwickelt sich zum Embryo,
und nach und nach fängt der Geist an, den kleinen Körper zu be-
einflussen. Der Geist weiß ganz genau, daß er mit diesem neuen
Fleischesleib zurechtkommen muß, soll ihn die Inkarnation vor-
anbringen.
Wie schon erwähnt, ist die Zeit vor der Geburt von ganz ent-
scheidender Bedeutung, da sie Gelegenheit zur Eingewöhnung
bietet, was vor der Geburt unbedingt nötig ist. Bis zu jenem
Augenblick ist der kleine Körper durch seine Aura und seine
Mutter geschützt. Es gibt wohl kaum etwas Schöneres als den
strahlenden Anblick einer werdenden Mutter, die weiß, was in
ihrem Innern vor sich geht und instinktiv spürt, welche Ver-
antwortung ein Mensch trägt, der ein neues Wesen in das Leben auf
der Erde einführt. Für sie bedeutet das eine Bereicherung, da in
ihr nicht nur der eigene Geist ist, sondern zugleich auch ein
zweiter, der das Abenteuer des Lebens gerade erst beginnt.
Weil diese beiden Geistwesen ein ganz besonders inniges Verhält-
nis zueinander haben, ist auch die Beziehung zwischen Mutter und
Kind so ganz anders als die zwischen Kind und Vater. Der Vater
hat das Kind nicht getragen. Andererseits ist es gut möglich, daß
er mit seinem Kind früher zusammen war und er - unbewußt - spürt,
daß sich eine Erinnerung regt. Hierbei gibt es natürlich zwei
Möglichkeiten: Es können Erinnerungen an Harmonie und Liebe, aber
auch an Zwietracht oder gar Feindschaft sein. In diesen Fällen
kehrt das Kind vielleicht zurück, weil es das Problem lösen möch-
te. Nur zu oft ahnen zwei Menschen nichts davon, daß sie sich in
einem früheren Leben nicht vertrugen und Feinde geworden waren.
In diesem Leben geraten sie fortlaufend erneut schwer aneinander
und verschärfen so das Problem, statt es abzubauen. Irgendwann
einmal muß jeder Zwist, egal ob zwischen Einzelpersonen, Fami-
lien, Gemeinschaften, Sekten oder Völkern, ausgeräumt werden. Im
kleinen Kind äußert sich der Geist mit großer Kraft, weil er
durchbrechen, seinen Weg bahnen und die Wachstumsmechanismen des
Körpers überwachen muß. Er muß den Menschen zum Funktionieren
bringen. Ihr seht also, daß das Wachstum beim Kind längst nicht
nur physikalische und chemische Vorgänge umfaßt.
In den ersten sieben Jahren wird sich das Kind seiner Umwelt
bewußt; es sammelt neue Eindrücke, macht Erfahrungen, gewinnt
Einsichten. Während des nächsten Abschnitts fragt es dann
"Warum?", denkt selbständig. Was die Eltern sagen, genügt ihm nun
nicht mehr. Es fängt an, über sie hinaus zu denken.
Diese Siebenjahresabschnitte darf man natürlich nicht so exakt
nehmen. Es gibt unter jungen Menschen gewaltige Unterschiede;
manche entwickeln sich rasend schnell, andere brauchen länger,
um zu reifen.
Der nun folgende Abschnitt gehört zum Schwierigsten im Leben
eines heranwachsenden Menschenwesens. Weshalb? Weil in dieser
Zeit Verstand und Körper über den Geist dominieren, weil es eine
Zeit der inneren Zerissenheit ist, in der die Eltern sehr ein-
fühlsam und mit viel Mitgefühl vorgehen sollten. Das Gehirn des
jungen Menschen hat bereits eine bestimmte Reife erlangt, es ver-
fügt über einen großen Wortschatz und ist fähig zum vertieften
Nachdenken und Fragen; die Fortpflanzungsorgane haben ihre Funk-
tion aufgenommen. Mit all diesen Entwicklungen muß der junge
Mensch zurechtkommen. Viele meinen, sie könnten in einigen Dingen
schon ganz ohne die Eltern auskommen, was oft zusätzliche Schwie-
rigkeiten schafft.
Wie kann man dem Kind in dieser schwierigen Zeit am besten
beistehen? Mit Sicherheit gibt es Augenblicke, in denen das ganze
Gleichgewicht der vielen Abläufe völlig aus den Fugen gerät: der
Körper entwickelt sich in die eine Richtung, die Gefühlswelt in
eine andere, der Verstand in eine dritte, und der Geist - der hat
vielleicht irgendwo dazwischen seine Mühe, die Eintracht wieder-
herzustellen! Und nicht nur der Geist des Kindes selbst, auch
alle anderen, die ihm in dieser Krisenzeit helfen wollen, haben
dabei ihre liebe Not.
Man darf nicht vergessen, daß der Jugendliche anfängt, sich von
der Aura der Eltern völlig loszulösen. Vor dieser Zeit hat sich
das Verbindungsstück zwischen ihnen allmählich aufgelöst, doch
mit vierzehn wird es durchtrennt und dem Kind ist plötzlich so,
als sei es ganz auf sich allein gestellt. Das muß auch in der
glücklichsten Familie so ablaufen.
Anfangs ist das etwas Faszinierendes, denn der junge Mensch kann
nun vieles selbst sehen und tun und genießen, was Erwachsenen
offensteht. Doch dann wird ihm schmerzlich bewußt, daß er allein
ist. Dieses Gefühl des Getrenntseins kann sich in einigen Fällen
als Furcht oder als Introversion äußern; in anderen Fällen macht
es sich als Widerspenstigkeit und Rebellion gegen die Gesell-
schaft Luft.
In dieser Zeit könnt ihr nichts weiter tun, als ihm mit unend-
licher Geduld, Liebe und - falls das akzeptiert wird - Lenkung
zur Seite zu stehen, doch stets ohne jede Vorbedingung. Und ihr
müßt erkennen, daß euer Sohn oder eure Tochter jetzt ein
eigenständiger Mensch ist.
Ihr dürft nicht von eurem Kind erwarten, daß es sich so entwi-
kelt, wie ihr das wollt, denn es muß sich auf die ihm gemäße Art
und Weise entfalten. Niemand in einem materiellen Körper kann das
Karma eines anderen vollständig begreifen. Ihr könnt alles nur
von eurer eingeschränkten Warte aus wahrnehmen, und der häufigste
Fehler, den Eltern machen, ist, von ihren Kindern etwas Bestimm-
tes zu erwarten oder sogar zu fordern, statt für ihr Kind dankbar
zu sein, so wie es nun einmal ist.
Jedes Kind, das auf die Welt kommt, ist in bezug auf seinen
Geist, seine äußere Erscheinung und seine Wesensart einzigartig;
es unterscheidet sich in seinem Denken und seiner Reaktionsweise
von jedem anderen Menschen. In der jetzigen Zeit inkarnieren
viele hochentwickelte Geistwesen, und das heißt, daß es ihnen
schwerer fällt als anderen, damit zurechtzukommen.
Meiner Meinung nach haben wir heute nicht nur eine ganz große
Gelegenheit zum Dazulernen und damit auch eine neue Aufgabe für
Eltern, Lehrer und Politiker, sondern es ist auch ein äußerst
wichtiger Abschnitt in der Geschichte der Erde und der Mensch-
heit, und wir sollten alles in unserer Kraft Stehende tun, um uns
seiner würdig zu erwiesen.